Vortrag No-Borders-Kitchen

#_LOCATIONMAP

Datum/Zeit
Date(s) - 29.09.2017
19:00 - 23:00

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Da sitze ich also nun in einem A-320 mit Reiseziel Thessaloniki. Die
anderen Menschen in dem Flieger sind mehrheitlich Griechen.
Mittlerweile ist Düsseldorf unter der Wolkendecke verschwunden
und ich schwebe vier ungewissen Wochen auf Lesbos entgegen.
Danach werde ich wissen ob es eine gute Idee war, sich der
No
Border Kitchen
angeschlossen zu haben. Ich hatte schon seit
einiger Zeit darüber nach gedacht mich mit den Themen Flucht und
Vertreibung fotografisch zu befassen.
Die Insel ist durch die Medien in unserer Wahrnehmung zum
Brennpunkt menschlicher Dramen geworden, so das ich mich fragte
ob es wohl möglich ist, die Gleichzeitigkeit von beschaulicher
Ferieninsel und Flüchingsdrama einzufangen.
Der letztendliche Anstoß kam von meiner Freundin Yetta, die einen
Vortrag über ihr Engagement in der Flüchtlingshilfe auf Lesbos einen
Vortrag hielt. Durch den Kontakt zu ihr habe ich Zugang zu den
Strukturen auf der Insel gefunden.
Sie gab mir den Hinweis, mich bei
Respekt für Griechenland
um
einen Schlafplatz in einem Appartement auf der Insel zu bewerben.
Man bietet dort Zugang als Volontär für verschiedene Projekte.
Ich hatte mich mit Yetta darüber verständigt das ich in ihrer
Abwesenheit die Küche der
No Border Kitchen
organisieren würde.
Sie selbst hatte sich für den Zeitraum meines Aufenthalts für einen
Einsatz auf der
Juwenta
beworben, einem von
Jugend Rettet
gecharterten Fischkutter der vor den Hoheitsgewässern Lybiens
Menschen aus Seenot rettet. Sie würde einen Tag nach meiner
Ankunft die Insel Richtung Malta verlassen.
Abgesehen von diesen Eckdaten hatte ich erst mal keine Ahnung
von dem was mich auf Lesbos erwarten würde.
Vorerst setzte der Flieger zur Landung in Thessaloniki an. Dort wü
rde ich in ein paar Stunden einen Anschluss nach Lesbos haben.
Schon bevor das erste Rad der Maschine das Rollfeld berührte
begannen die Leute frenetisch zu applaudieren. Vielleicht war es ja
die erste erfolgreiche Landung im Leben unseres Piloten
Der Flughafen Thessaloniki sieht ein bisschen aus als wenn jemand
das Borussia-Stadion zu einem Terminal umgebaut hätte. etwas
kleiner als der Dortmunder Flughafen verstrahlt er sehr den Charme
eines ehemaligen Militärflughafens. Entlang der Landebahn stehen
betonierten Unterstände für Düsenjets. Zur Zeit sind sie leer.
Ich hatte ein paar Stunden Aufenthalt bis zu meinem Anschlussflug.
die verbrachte ich in der anheimelnden Atmosphäre der
Flughafenkantine in unmittelbarer Nähe einer Steckdose mit meinem
Laptop, immer ein Auge auf den Bildschirm mit den Abflugzeiten.
Als mich eine SMS der Olympic-Air erreichte das ich jetzt bald
einchecken könne war mein Flug noch nicht gelistet.
Sicherheitshalber schleuste ich mich aber schon mal durch den
Sicherheits-Check und nahm am Abflugterminal Platz. Der Flug
wurde dort bereits auf dem Bildschirm angezeigt – allerdings ohne
Abflugzeit.
Als Mitarbeiter der Olympic am Schalter Stellung bezogen machte
sich ein alter Mann daran die Kollegen daran zu erinnern, das sein
Flug nach Lesbos jetzt doch einchecken müsse. Auch als die
Mitarbeiterin ihm erklärte das die Maschine aktuell verspätet am
Flughafen eintreffen würde und man daher noch eine Weile warten
müsse, hörte er nicht mit seinem Lamento auf.
Neben mir saß eine Mitreisende des Mannes – seine Tochter. Das
Verhalten ihres Vaters war ihr peinlich. Sie erzählte mir das ihm in
solchen Situationen seine Demenz sehr zu schaffen mache – und
seinem Umfeld gleich mit. Sie währe unendlich froh wenn sie endlich
in ihrem Ferienhaus angekommen seinen, da dann auch die Unruhe
des Mannes verschwinden würde.
Wir kamen über die Zeit ins Gespräch und tauschten uns darüber
aus warum wir auf die Insel fliegen. Als sie von meinem
bevorstehenden Engagement hörte, erzählte sie mir von einer Nacht
im Jahr 2015 als sie plötzlich den Garten ihres Ferienhauses voller
durchnässter Menschen stehen hatten. Sie hätten damals versucht
mit allem was sie dort vorrätig hatten den Leuten zu helfen, denn
externe Hilfe war damals nicht verfügbar gewesen – die Flü
chtlingswelle hatte begonnen und überall an den Stränden der Nord-
und Ostküste von Lesbos landeten Menschen mit Schlauchbooten
und anderen, kaum seetüchtigen Fahrzeugen an. Es sollten nicht die
letzten nächtlichen Gäste gewesen sein und die Not der Menschen
habe sie sehr berührt.
Ihr Sohn, der damals mit auf der Insel war sammle heute Kleidung in
Deutschland um in regelmäßigen Abständen einen Container mit
Hilfsgütern auf die Insel zu schicken.
Inzwischen war unsere Maschine gelandet. Sie stand in Sichtweite
des Terminals und wurde gerade entladen und für den Anschlussflug
fertig gemacht. Es hatten sich ein paar mehr Menschen um den
Vater meiner Gesprächspartnerin geschart und redeten auf die
Flughafenmitarbeiterin ein, wie eilig sie es doch hätten und das es
jetzt doch bald los gehen müsse.
Ich bewunderte im Stillen die geradezu stoische Gelassenheit mit
der diese Frau den Leuten immer und immer wieder erklärte das die
Maschine erst eingecheckt werden könne wenn sie komplett
vorbereitet sei und das man heute auf jeden Fall, wenn auch mit
Verspätung, nach Lesbos fliegen würde.
Als wir eincheckten wurde mir bewusst wie klein die Maschine war –
auf beiden Seiten des Gangs waren je zwei mit verschossenem
Leder bezogene Sitzreihen angeordnet und boten insgesamt 40
Menschen Platz.
Man hatte für diesen Flug nicht zufällig auffällig kleine
Mitarbeiterinnen ausgewählt. Sie konnten in der Maschine aufrecht
gehen während ich selbst mir auf meinem Wg zum Sitz wie der Glö
ckner von Notre Dame vor kam.
Ich hatte einen Fensterplatz direkt am Flügel bzw. neben einem der
Motoren. Ich mag Propellerflugzeuge und erfuhr aus dem
Bordmagazin das es sich um eine DHC-8 von Bombardier handelte.
Wie ich kurze Zeit später merken sollte machte dieses, aus den
achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts stammende
Flugzeug keinerlei Geheimnis aus seiner Arbeit.
Die beiden Turboprop-Triebwerke machten einen derartigen Lärm
das ich mich nicht nur wegen der Sprachbarriere mit meiner
Sitznachbarin hätte unterhalten kö
nnen
– es sei denn, durch
Anschreien oder Zuschieben kleiner Notitzzettel.
Um so bewundernswerter waren da die Stewardessen die sich beim
Austeilen von Snacks und Getränken bei der Kommunikation
deutlicher Gesten und Gesichtsmimik bedienten.
hr
end ich noch ihre quasi lautlosen Angebote bestaunte begann
der Flug sehr unruhig zu werden. Wir waren in ein Gewitter geraten
und die Maschine schüttelte sich als wolle sie uns alle los werden. So
wie die Motoren jetzt heulten hatte der hatte hörbar mit der
Wetterlage zu kämpfen. Zwei mal sackte die Maschine nach unten
so das es mich aus dem Sitz hob. Ich habe keine Ahnung wie unter
diesen Umständen die Stewardessen ihren Saftwagen unter
Kontrolle hielten- sie blieben jedenfalls auffällig gelassen und
verteilten zur Sicherheit nur noch halb gefüllte Becher.
Meine Nachbarin hatte kein Interesse an einem Getränk. Während
draußen die Blitze zuckten starrte sie in ihrem Flugmagazin
verbissen dieselbe Seite an. Der Regen fiel jetzt so dicht das man
das Triebwerk am Flügel nicht mehr sehen konnte.
Als endlich der Landeanflug auf Lesbos kam zwangen starke Bö
en
das Flugzeug zu deutlichen Ausgleichbewegungen. Mit einem rü
den
Hopser setzte der Flieger endlich auf der Landebahn von Lesbos
auf.
Komisch – dieses mal wollte niemand Klatschen, dabei hätte es die
Leistung des Piloten wirklich gerechtfertigt. Als die Motoren
erstarben verließen alle wortlos die Maschine. Die Stewardessen
verabschiedeten uns mit einem Gesichtsausdruck als sei es ein vö
llig normaler Flug gewesen.
Ich war froh als mein Koffer mich wieder gefunden hatte und wir
zusammen aus dem kleinen Terminal auf die Straße traten.
Yetta hatte geduldig auf mich gewartet und wir fuhren zur Wohnung.
Unser Appartement wirkt so als wenn es irgendwann in den siebziger
Jahren eingeschlafen und vergessen worden sei. Es bietet Platz fü
r
bis zu zehn Personen. Allerdings war niemand dort als wir eintrafen.
Nach und nach trafen die Bewohner von der Tätigkeit in den
verschiedenen Projekten ein. Eine bunt gewürfelte Truppe mit einem
deutlichen Überhang von Menschen aus dem Ruhrgebiet.
Wir essen und trinken miteinander und jeder erzählt etwas von
seinem Tag – diese Masse an bunten Informationen kann ich nach
dem Flug erst mal nicht verarbeiten – vielleicht geht das besser nach
einer Mütze Schlaf
Es ist warm auf Lesbos – und hell – und sie haben dort wirklich laute
Motorräder, die alle unter meinem Fenster vorbei fahren. Von was
habe ich eigentlich diesen Schädel? So viel Ouzo war das doch
gestern Abend gar nicht
Als ich in der Küche ankomme ist dort schon Marina zugange. Der
Kaffee kocht schon und sie hat beim Bäcker in der Stadt Brötchen
und Olivenbrot besorgt. Sie nennt es
ihren Beitrag zum WG-Leben
.
Besonders die Olivenbrote sind ein toller Beitrag – die Teile haben
das Format einer platt gefahrenen Brötchens aus dunklem Teig mit
reichlich Olivenstückchen drin – sie sollten für die kommenden
Wochen fester Bestandteil meiner Einkaufsliste werden.
Mein erster Tag auf der Insel war sehr verwirrend – Marina kurvte mit
dem Wagen durch die chaotisch voll gestopften Einbahnstraß
en
Mytilinis und bewies überirdisches Können auf dem überfüllten
Parkplatz vorm Supermarkt. Mit verschiedenen Zwischenstops bei
Gemüsehändlern Squats (1) fuhren wir zur Küche raus.
Unsere Route führte uns an Moria vorbei – das ist das Hauptlager fü
r
Fl
üchtlinge. etwa 10 Kilometer außerhalb von Mytilini an einer
Nebenstraße gelegen.
Wenn man sich dem Lager nähert wird es eng auf der Straße. Auf
beiden Seiten parken die Autos der in dem Lager Beschäftigten und
ein Polizeibus. Es stehen reichlich mit schusssicheren Westen
bekleidete Polizisten aber noch viel zahlreicher Flüchtlinge zwischen
den parkenden Wagen und vor dem Eingang zum Lager. Sie warten
auf den Bus oder eine andere Mitfahrgelegenheit.
In der schnellen Vorbeifahrt sehe ich nur Stacheldraht und reichlich
graue Wohncontainer. Was es mit der Unterbringung der Flüchtlinge
auf Lesbos auf sich haben sollte würde ich noch lernen.
Nach einer Weile sind wir bei der Küche angekommen. Das Gebä
ude hatte früher eine andere Funktion und stand lange leer. Sein
Besitzer ist froh, das er in der aktuellen Immobilienkrise so
anspruchslose Mieter gefunden hat. Das Gebäude genügt
niedrigsten Standards. Wir haben dort fließendes Leitungswasser
und Abwasseranschluss. Strom und Heizung gibt es nicht. Es hat
zwei Räume – einer wird als Lager für die Lebensmittel und einer als
Küche genutzt. Wegen der fehlenden Kühlung, aber auch aus
finanziellen Gründen kocht
No Border
vegan.
Marina wird sich in den zehn Tagen bis zu ihrer Abreise um meine
Einarbeitung kümmern. Ich muss wissen wo unsere Händler sind,
wer wie arbeitet, auf welchen Wegen wir uns bewegen und wie man
sich auf der Insel in verschiedenen Situationen verhält.
Der Betrieb erinnert sehr an die Küche in einem Zeltlager. Die Köche
sind Menschen aus der Community der Flüchtlinge. So wird sicher
gestellt das der Geschmack in etwa den der Zielgruppe trifft. Wir
produzieren etwa 200 Mahlzeiten pro Tag auf niedrigstem
technischen Niveau. Es handelt sich immer um eine Art Eintopf der in
großen Kaffeebechern aus Pappe abgefüllt mit Deckeln versehen
von uns zum
Kunden
gefahren wird. Wenn der Gemüsehändler uns
gern hat gibt es auch noch Salat dazu. Zusammen mit Obst und
Wasser in Flaschen stellt es die Basisversorgung für etwa 150 dar
die teilweise keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser oder Kochmö
glichkeit haben.
Für Menschen die selber Kochen stellen wir zwei mal die Woche
Kochkisten mit frischem Gemüse zusammen.
Insgesamt versorgen die Küche so 300 Menschen mit Nahrung.
Das Ganze läuft wegen der unterschiedlichen Essgewohnheiten
nach einem auf den ersten Blick komplexen System. Listen